entlang der Fjorde

Gut eine Woche ist es her, seit wir die Nordkappregion verlassen haben. Über Honningsväg und zurück durch den dunklen Tunnel, fuhren wir Richtung Süden, um bei Russenes die Abzweigung nach Westen bzw. Hammerfest zu wählen. Hammerfest, das sich mit dem Titel „nördlichste Stadt Europas" und "erste Stadt mit elektrifizierter Strassenbeleuchtung" schmückt, erhält von uns lediglich die Auszeichnung „die Stadt mit den meisten geschlossenen Geschäften“. Kaum ein Restaurant oder Einkaufsladen stand offen und wenn, dann nur für die Zeit, in der die Passagiere der Hurtigrouten-Schiffe an Land strömten. Alles in Hammerfest schien sich auf den kommenden Winterschlaf vorzubereiten. Wir genossen den Tag trotzdem, stiegen auf den Hausberg von Hammerfest, kauften ein und bereiteten die Weiterfahrt vor. Bis nach Alta, ca. 170 km südlich von Hammerfest, führte uns die Strasse weg vom Meer, mehrheitlich durch „hochalpine“ Landschaften. In Alta am gleichnamigen Fluss, der für sein zahlreiches Lachsvorkommen bekannt ist (das Fischen war nur mit Lizenz möglich - leider für mich bzw. zum Glück für die Fische), sahen wir uns in einem Freilichtmuseum 4 – 6000 Jahre alte Felsenmalereien (Steinzeit-Graffitis) an. Von Alta bis Tromsø folgte die Strasse entlang der Küste. Fjorde um Fjorde. immer wieder ein neuer Meeresarm, der sich weit ins Landesinnere windet. Dazu die Wälder, die schon ganz ordentlich die Farben des Herbstes angenommen haben. Vom leuchtenden Hellgelb über Goldgelb bis hin zu den unzähligen Braun- und Rotvarianten. Die Benützung von zwei Fährpassagen machte unsere Fahrt nach Tromsø abwechslungsreicher und kürzte gleichzeitig die Fahrzeit, bzw. die Fahrstrecke - aber auch unser Budget. Nun stehen wir also in Tromsø. Der erste Ort seit dem finnischen Rovaniemi, der den Eindruck einer Stadt hinterlässt. Kreuzungen mit Lichtsignalen, Autokolonnen mit mehr als zwei Autos, grosse Wohnblöcke und vor allem Leben auf der Strasse. Wir entscheiden uns, in Tromsø etwas zu verweilen und Buchen deshalb gleich zwei Nächte auf dem am östlichen Stadtrand gelegenen neuen und modern eingerichteten Campingplatz. Das Wetter zeigt sich von seiner Schokoladenseite und auch die Prognose für die nächsten Tage ist erfreulich. Schnell sind der Tisch und die Stühle auf dem Stück Kunstrasenteppich vor unserem Fahrzeug aufgebaut. Wir geniessen Tee und Bier mit etwas Apérogebäck, als unser Platznachbar beginnt, an seinem Fahrzeug die Scheiben zu reinigen. Er nickt uns freundlich zu, worauf ich ihn - ebenfalls freundlich grüssend - bitte, im gleichen Zug auch die Scheiben an unserem Fahrzeug zu reinigen. Nach zwei Sekunden leichter Irritation fällt bei ihm der Groschen, seine Miene heitert sich auf und wir kommen ins Gespräch. Er outet sich schnell als Polarlicht-Junky. Mit seinem Wohnmobil jagt er Nacht für Nacht dem Lichterspektakel hinterher. Heute sei eine gute Gelegenheit. Stärke 3. Morgen sogar Stärke 4. Aber das Wetter sei sehr instabil. Die ganze letzte Nacht sei er mit seiner Kamera hier auf dem Platz gestanden. Mehrere gute Aufnahmen seien ihm gelungen, aber leider sei die Lichtverschmutzung in Tromsø gross. Er werde deshalb auf eine vorgelagerte Insel fahren. Schnell nehmen wir die Gelegenheit wahr und entlocken ihm einige Insiderinformationen über die Eigenschaften des Nordlichts und zur Fototechnik. Angesteckt vom Nordlichtfieber sind wir fest entschlossen, heute Nacht ebenfalls unser Glück zu versuchen. Unser Plan: Um der Lichtverschmutzung von Tromsø zu entgehen, erklimmen wir den 420m hohen Hügel Fjellstua, der sich gleich hinter dem Zeltplatz erhebt. Wir rechnen mit Temperaturen im tiefen einstelligen Bereich. Ausgerüstet mit Wanderschuhen, Pullover, Windjacke, Handschuhe, Mütze, einer Kanne Tee, Fotoausrüstung, Stativ und ganz viel Optimismus starten wir gegen 2200 Uhr. Unser TomTom Navi – auf Fussgängermodus umgestellt – bringt uns sicher durch das Wohnquartier zum Pfad, der auf den Fjellstua führt. Es ist Nacht. Dunkle Nacht. Und wer den Weg nicht kennt, für den ist die Nacht noch viel dunkler. Schritt für Schritt stapfen wir den schmalen, steilen Steig nach oben. Immer wieder schauen wir durch die Baumkronen in den Himmel. Ist schon etwas zu sehen? Tatsächlich machen sich helle Flecken am Nachthimmel breit. Wir beschleunigen unsere Schritte, denn wir wollen bis ganz nach oben. Nach ca. einer Stunde erreichen wir atemlos den Gipfel (ich entschuldige mich hier, den Fjellstua „Hügel“ genannt zu haben). Wunderbar ist die Sicht auf die Stadt. Der Lichtverschmutzung sind wir allerdings kaum entgangen. Vor uns strahlt das Lichtermeer von Tromsø und hinter uns leuchtet der Vollmond als Riesenkugel. Trotzdem bekommen wir in den nächsten zwei Stunden ein einmaliges Naturschauspiel geboten. Immer wieder erscheinen hellgrün leuchtende Gebilde am sternenklaren Nachthimmel. Einmal über uns, dann wieder vor uns, dann wieder von Horizont zu Horizont. Trotz heissem Tee und mehrlagigen Kleiderschichten kriecht die Kälte langsam unter die Haut. Wir entschliessen uns, den Rückweg anzutreten. Müde aber zufrieden erreichen wir gegen 0230 Uhr unser „Basislager“.

22.9.2016

"Wer hier in Nordnorwegen verweilt, sollte unbedingt die Lofoten besuchen!" Diesen Rat haben wir auf unserer bisherigen Reise schon mehrfach gehört. Und da wir genügend Zeit und auch eine gewisse Affinität zu nördlichsten, westlichsten, südlichsten, östlichsten und anderen äussersten Punkten und Ecken der Welt haben, sind wir fest entschlossen, die Inselwelt der Lofoten zu erkunden. So sind wir von Tromsø – unter Vermeidung jeglicher Hauptstrassen – durch unzählige Fjorde Richtung Süden getuckert. Zwischendurch mal kurz mit einer Fähre über einen Fjord, dann wieder einen Umweg in Kauf genommen wegen einer gesperrten Strasse. In Breivoll warten wir auf die Fähre nach Harstad. Sieben Wartespuren. Alle leer. Wir sind das einzige Fahrzeug. Kein Wohnhaus, kein Kiosk, kein WC, keine Tafel mit den Abfahrtszeiten. Neben dem Anlegesteg und direkt am Wasser steht eine Fabrikhalle. Vorgelagert im Fjord schwimmen mehrere Gehege. Alles sehr diskret. Wir rätseln über deren Zweck. Fischzucht? Was denn sonst? Hin und wieder schlendert ein mittelmässig motivierter Arbeiter im Overall vom Fabrikgebäude zu den Gehegen. Da bei uns gewisse Zweifel aufkommen, ob wir hier am richtigen Ort sind und ob überhaupt eine Fähre fährt, fragen wir einen uns sympathisch erscheinenden Angestellten. Freundlich gibt er uns Auskunft. Doch die Fähre fährt. Drei Mal am Tag. Die nächste um 1430 Uhr. Wir haben fast drei Stunden Zeit. Was denn produziert werde in dieser Anlage, fragen wir nach. Hier werden Lachse geschlachtet. 55 Tonnen pro Woche. Nur geschlachtet – nicht verarbeitet. Die Lachse werden auf Eis gelegt, in Kisten gepackt und in alle Welt spediert. Ob die Fische hier in den Becken gezüchtet werden, fragen wir neugierig-naiv. Nein - natürlich nicht, antwortet er freundlich und geduldig. Die Lachse werden per Schiff hierher gebracht. Jede Woche. Die Lachse bleiben bis zur Schlachtung höchstens eine Woche im Gehege. Wir bedanken uns für die Informationen. Inzwischen sind drei der sieben Wartereihen gefüllt mit Fahrzeugen. Die Fähre fährt pünktlich.

Bevor wir weiter südlich zu den Lofoten fahren, entschliessen wir uns zu einem Abstecher nach Andenes am nördlichsten Ende der Insel Andøy. Wir sind nun schon 67 Tage unterwegs. Fast die Hälfte der eingeplanten Zeit ist vorüber. 8‘148 km haben wir bis heute zurückgelegt. 4‘000 km mehr als ursprünglich eingeplant.

Das kleine Städtchen Andenes gibt uns wieder einmal das Gefühl, am Ende der Welt zu sein. Es liegt ganz an der nördlichen Spitze der langgezogenen Insel Andøy, schon weit weg vom Festland, schon fast mitten im Atlantik. Andenes lebt heute offensichtlich vom Tourismus. Das zeigen die vielen Unterkunfts- und Freizeitmöglichkeiten, die jedoch zu dieser Jahreszeit praktisch alle leer stehen bzw. geschlossen sind. Einige der wenigen Attraktionen die noch angeboten werden sind die Walsafaris. Wir fahren direkt zum Anbieter, wirklich ganz an der Spitze der Insel, gleich neben dem grossen roten Leuchtturm. Der grosszügige Eingangsbereich ist menschenleer, lässt uns aber erahnen, welche Masse an Touristen hier in den Sommermonaten durchgeschleust werden. Die Rezeption ist mit einem Rollgitter verschlossen, im Restaurant tummeln sich ein paar verlorene Seelen. Es ist bereits 1700 Uhr. Es sieht nach Feierabend aus. Wollen wir an einem Ausflug teilnehmen? Wir fahren ein kurzes Stück zurück auf den Campingplatz, direkt am Meer. Aber eben, hier an der Spitze der Insel Andøy liegt praktisch alles direkt am Meer. Wir diskutieren den Sinn und Zweck einer Walsafari. Werden wir überhaupt etwas sehen, am Ende der Saison? Und dann das Wetter. Wie gross sind die Boote? Ich zeige mich sehr unentschlossen. Wir werden am nächsten Morgen anrufen und uns informieren. 

22.9.2016

Es ist Donnerstagmorgen. Daran erinnern uns eigentlich nur der Kalender und die Uhr. Die Sonne scheint und spendet wohltuende Wärme. Das Frühstück geniessen wir im Freien, bei angenehmen 12 Grad. Zehn Meter neben uns der feinkörnige weisse Sandstrand. Das Meer grüsst mit sanft plätschernden Wellen. Es sind jene kurzen Momente des Glücks, die alles vergessen lassen. Momente, die eigentlich nie enden sollten. Ein perfekter Tag für eine Walsafari. Als ich beim Anbieter anrufe, ist es fast Mittag. „Sorry“, ist die Auskunft die ich erhalte. Das Boot von heute verlässt soeben den Hafen. Die nächste und letzte Tour für diese Saison ist am nächsten Montag. Nein, sorry, keine Tour am Freitag, Samstag oder Sonntag. Nach dem unbeschreiblichen Glücksmoment ein Riesenfrust. Sollen wir bis Montag warten? Wieder die gleichen Fragen. Werden wir Wale sehen? Bleibt das Wetter gut? Wir entschliessen uns zu bleiben. Die Gegend ist faszinierend schön.

23.9.2016

Die Idee einer Strandwanderung ist verlockend. Wir lieben beiden den Strand, das Meer und Spaziergänge. Im Infozentrum erhalten wir Vorschläge und Kartenmaterial für eine Wanderung am Meer. Drei bis fünf Stunden müssten wir einkalkulieren. Der Weg sei gut markiert mit roten Punkten. Er führt auch über ein paar Steine, deshalb sei gutes Schuhwerk nützlich. Am Ausgangspunkt der Wanderung lassen wir das Fahrzeug stehen. Bewaffnet mit Rucksack, Proviant, Fotokamera, Kartenmaterial und natürlich Wanderschuhen (Wanderschuhe für eine Strandwanderung hört sich beknackt an) machen wir uns auf den Weg. Wir fragen uns, warum ein Strandweg mit roten Punkten markiert sein soll. Verirren ist doch kaum möglich. Einfach immer dem Meer entlang. Wir geniessen die Aussicht, das Wetter, die Bewegung. Der ohnehin recht schmale Sandstrand wird nach wenigen hundert Metern steinig. Die Steine werden immer grösser und von Sand ist bald nichts mehr zu sehen. Nach knapp einer halben Stunde ist es vorbei mit Wandern. Wir hängen in den Klippen. Hinter uns, vor uns und über uns Steine, Felsen, Klippen. Unter uns sorgen die Wellen dafür, dass die Steine schön nass und glitschig bleiben. Unweigerlich kommt mir der Film „Cliffhanger“ in den Sinn. Immer beharrlich den roten Punkten folgend, klettern wir von Felsbrocken zu Felsbrocken. Ohne diese roten Punkte hätten wir längst aufgegeben, wären umgekehrt. Klar ist, die Wanderschuhe machen wirklich Sinn. Nach über einer Stunde schweisstreibender Kletterei erreichen wir eine von Klippen eingebettete Bucht mit breitem weissem Strand. Eine Traumkulisse für jeden „Robinson Crusoe“ oder „Blaue Lagune“ Film. Wir beherzigen den Ratschlag eines ortskundigen Norwegers und folgen einem Schafspfad, steil nach oben auf ca. 350 Meter über Meer. Von dort geniessen wir einen herrlichen Blick auf die Fjorde und die zuvor durchquerten Klippen. Der Rest der Geschichte, bzw. der Wanderung ist schnell erzählt und für Alpen erfahrene Schweizer kein Problem. Über einen Bergrücken, durch ein Hochmoor und schliesslich durch einen Birkenwald gelangen wir zum Ausganspunkt zurück. Neben vielen grandiosen Eindrücken dieses Tages bleibt uns die Erkenntnis, dass Norweger offensichtlich eine eigene Vorstellung von einer Strandwanderung haben.

26.9.2016

Heute ist Montag. Nach zwei wohlverdienten, regnerischen Ruhetagen starten wir bei windigem aber akzeptablem Herbstwetter das Unternehmen „Walsafari“. Nach dem Frühstück heisst es abwaschen, alles wegpacken und fahrtauglich befestigen, die Keile unter den Rädern entfernen, das Kabel für den Elektroanschluss abhängen, reinigen, einrollen und verstauen, alle Schränke, Schäfte und Luken schliessen, das Abwasser entleeren und schon ist das Fahrzeug reisefertig. Zum Walsafari-Center sind es nur wenige Kilometer. Schnell ist das Ticket gekauft. Heute ist die letzte Tour der Sommersaison. Der Tourenführer ist bereits auf dem Leuchtturm und hält mit dem Fernrohr Ausschau nach Walen. Um 1145 Uhr heisst es dann Leinen los. Wir sind nur ca. 20 Personen in der Gruppe. Das ist sehr komfortabel, denn normalerweise nehmen in der Hochsaison bis zu 100 Personen teil. Der Kapitän nimmt mit dem umgebauten ehemaligen Fischerkutter Kurs aufs offene Meer. Mit dem Feldstecher beobachtet er die ruhige See und über Kopfhörer bzw. Sonar lauscht er nach möglichen Walgesängen. Ein erfahrener alter Seebär, dieser Kapitän. Er bringt über dreissig Jahr Walsafari-Erfahrung mit sich. Plötzlich ändert er den Kurs, steigert die Tourenzahl des Schiffsmotors und deutet an, dass er einen auftauchenden Wal gesehen hat. In dieser Gegend und zu dieser Jahreszeit sind vor allem Potwale zu sehen. Potwale bleiben nach dem Auftauchen ca. sieben Minuten an der Oberfläche. Das gibt uns eine gute Chance, die Tiere aus der Nähe zu beobachten, bevor sie wieder abtauchen. Wir fahren nahe an die Riesengeschöpfe heran. Diese lassen sich nicht aus der Ruhe bringen. Der Anblick dieser Riesen ist einmalig und faszinierend. Mit der Kamera habe ich versucht, Eindrücke festzuhalten. Falls es die Internetverbindung erlaubt, stelle ich ein paar Schnappschüsse auf die Seite. Dank der grossen Erfahrung unseres Kapitäns führt er uns auch in die Nähe von zwei Finnwalen – eine Seltenheit zu dieser Jahreszeit in Andenes. Bei der Einfahrt in den Hafen haben wir Glück und eine Gruppe Schweinswale schwimmt uns über den Weg. Wir sind zurück an Land. Die Hände sind kalt und die Haut spannt im Gesicht. Es war ein einmaliger Tag auf See.

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