Nordkapp N 71° 10′ 21"

Von Neiden geht’s über die E6 zügig bis nach Tana Bru und von dort auf der 98er, einer kleinen Nebenstrasse, beharrlich Richtung Nordkapp. Unterwegs sind wir mutterseelenalleine. Die schmale, teils gut ausgebaute, dann wieder mit Schlaglöchern übersäte Strasse führt uns entlang von Fjorden und über Hochebenen. Oft wähnen wir uns auf Schweizer Passstrassen – die karge Felslandschaft, die kleinen Bergseen, hin und wieder Schafe auf der Strasse. In Läkselv stossen wir wieder auf die E6, welche uns weiter nordwärts nach Russenes bringt. Von nun an gibt es nur noch einen Weg, die E69. Hier müssen alle durch, die zum Nordkapp wollen. Wir können nur erahnen, welche Masse an Touristen hier in den Sommermonaten durchgeschleust werden; die gut ausgebaute Strasse, die vielen Hinweisschilder, die Campingplätze, die Angebote für Ausflüge, Helikopterrundflüge oder Hochseefischerei.

Das Nordkapp liegt auf der vorgelagerten Insel Mageröya, die durch einen 6870 Meter langen Tunnel unter dem Meer mit dem Festland verbunden ist. Der Tunnel ist eng, feucht und dunkel, weil schlecht beleuchtet. Er führt uns die ersten 3400 Meter steil nach unten mit bis zu 10% Gefälle auf eine Tiefe von 212 Meter unter dem Meeresspiegel, um uns dann nach einem kurzen Stück wieder steil nach oben zu bringen. Sehr unsympathisch das Ganze. Kurz nach Honningsväg nehmen wir wieder einmal den Luxus eines Campingplatzes in Anspruch. Heisse Douche, Geschirr spülen, frisches Wasser auffüllen, Schmutzwasser ablassen und Bord-Klo leeren. Zwei weitere Wohnmobile stehen mit uns auf dem riesigen Platz. Die Saison ist vorbei. Das benachbarte Ressort mit über 100 Gästezimmern ist geschlossen. Am Rande des Campingplatzes weiden drei Ren. Wir sind bereit für die letzten 25 Km bis zum Nordkapp.

Die morgendliche Fahrt von Honnigsväg zum Nordkapp ist kurzweilig. Immer wieder tauchen neue Fjorde und Bergseen in der gelbgrünen, kargen und hügeligen Landschaft auf. Unzählige Gruppen Rentiere stehen neben und manchmal auch auf der Strasse. Dann wird die Fahrbahn dreispurig. Rechts für die Autobusse. Das Häuschen mitten auf der Strasse signalisiert uns die Einfahrt zum Gelände des Nordkapps. Zoll, Maut, Eintritt! Pro Person 30 Euro für 24 Stunden. Weitere 24 Stunden kosten nochmals 10 Euro. Inbegriffen ist der Camper. Aber das Besucherzentrum ist lediglich noch von 1100 – 1500 Uhr geöffnet, offiziell. Nachsaison. Der freundliche junge Mann im Mauthäuschen klärt uns auf, dass für die Passagiere der Hurtigroutenschiffe (Südroute), die um 0530 Uhr in Honningsväg von Bord gehen und mit Bussen anschliessend zum Nordkapp gefahren werden, das Besucherzentrum bereits um 0630 Uhr geöffnet wird. Wir fahren auf den grossen Parkplatz neben dem Besucherzentrum, direkt vor den Klippen und postieren uns mit majestätischem Blick aufs Meer. Nach einem ersten Rundgang auf dem Nordkappfelsen, sehen wir uns im Besucherzentrum einen gelungenen Film zum Nordkapp an und flanieren anschliessend durch den Souveniershop. Die Passagiere der Hurtig-Süd-Route verlassen bereits um 1000 Uhr das Gelände. Von 1100 Uhr bis ca. 1430 Uhr bevölkern die Passagiere der Hurtig-Nord-Route den Nordkappfelsen. Danach kehrt Ruhe ein. Zusammen mit den wenigen Touristen, die mit Wohnmobilen die Nacht am Nordkapp verbringen werden, geniessen wir Aussicht und Natur – und das Gefühl, am Ende von Europa zu stehen (nicht politisch, sondern geographisch gemeint). Das Wetter entschädigt uns mit fast wolkenlosem Himmel für die vergangenen verregneten Wochen. Auch die Temperaturen sind angenehm mild. Nur der starke Wind hindert uns, das Nachtessen im Freien einzunehmen. Die in flachem Winkel untergehende Sonne spendet uns eine stundenlange Dämmerung. Noch um 2300 Uhr ist ein Streifen Licht am Horizont zu sehen. Wir liegen bereits im Bett, als die nächtliche Nordkappidylle durch eine Gruppe von Festbrüdern gestört wird. Laute Stimmen und das Dröhnen des Basses aus dem Autoradio (bumm, bumm, bumm – wir kennen das bereits von früher). Ohne lange mit geballter Faust im Bett zu liegen, entschliessen wir uns, einen anderen Platz zu suchen. Zu Fuss will ich die Umgebung rekognoszieren. Als ich das Fahrzeug verlasse, stockt mir der Atem, mein Puls galoppiert – ich kann es kaum fassen. Am Firmament das Nordlicht. Nicht sehr intensiv, aber es ist da. Wunderschön majestätisch tanzt das Licht - so sanft - so elegant. Danke, liebe Festbrüder, ohne euch hätten wir das Nordlicht verschlafen.

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