... und Estland

23./24.8.2016

Estland ist geographisch gesehen das nördlichste Land des Baltikums. Auch die Landschaft, die Architektur der Häuser, die Ortsnamen, die Menschen und ihre Sprache erinnern uns zunehmend an Skandinavien. Osteuropa ist definitiv hinter uns. Birkenwälder werden seltener, deren Platz nehmen dafür Nadelhölzer ein. Die Störche sind aus dem Landschaftsbild verschwunden. Auch die vermehrten Angebote für Wellness, Schlammbäder und Saunas bereiten uns auf unsere Weiterreise nach Finnland vor. Auf unserem Weg Richtung Tallinn bevorzugen wir die Route der Küste entlang. Das Städtchen Pärnu besichtigen wir nur halbherzig (einmal mehr werden unsere Erwartungen von einem einladenden Fischerdorf nicht erfüllt). So entschliessen wir uns, ein Nachtlager bei einem auf einer Touristenkarte eingezeichneten Aussichtsturm, weg von der Zivilisation und direkt am Meer, zu suchen. Bei Kavaru, einem 50-Seelendorf, stechen wir Richtung Küste. Die Strasse, bzw. der Weg - nicht asphaltiert - wird immer enger und die Äste der Bäume hängen immer tiefer. Kurz vor der Küste – das Wasser ist in Sichtweite – zwingt uns ein grosser Ast, der tief über den Weg reicht, entweder die Säge hervorzuholen oder aufzugeben. Wir entschliessen uns zu einem aufwendigen Wendemanöver, das mehr „Sägen“ mit dem Fahrzeug erforderte, als das Absägen des Astes. Aufgeben ist natürlich keine Option. Bei der nächsten Gelegenheit geht’s wieder Richtung Meer. Diesmal haben wir Glück. Die Bäume lassen etwas mehr Luft. Wir finden einen Platz mit einem kleinen Holzturm und einem Unterstand. Vor uns ein breiter Gürtel mit Schilf und davor im Wasser hunderte von Schwänen. Im Licht der untergehenden Sonne ein einmaliger Anblick. Wer jedoch glaubt, hier in der Wildnis allein zu sein, der sieht sich getäuscht. Neben uns parkt ein Wohnmobil – ein Ehepaar aus dem Kanton Bern!

  1. – 27. August 2016

Tallinn, Hauptstadt Estlands und unsere letzte Destination im Baltikum. Am Sonntag geht es mit der Fähre in nur zwei Stunden nach Helsinki. Diese Nähe zu Finnland ist spürbar. Viele Fahrzeuge mit den „FIN“ auf dem Kennzeichen begegnen uns. Das pulsierende Leben in den Gassen und Beizen, das Angebot in Restaurants und Läden gleicht dem, das wir aus westeuropäischen Städten kennen. Mansches ist auf die Tagestouristen aus Helsinki ausgerichtet, was man auch preislich zu spüren bekommt. Ärgerlich, wenn man dann selbst Opfer eines überrissenen und qualitativ schlechten Angebots wird. Mit Heisshunger (mindestens ich selber) suchen wir ein Restaurant direkt am Rathausplatz. Nur was Kleines auf die Schnelle, denn unser Auto steht auf einem Parkplatz mit Parkuhr. Euro 3.50 die Stunde. Da kommen Heimatgefühle auf. Aber Zürich wird ja vermutlich nächstens wieder vorlegen, was die Parkgebühren betrifft. Ein flüchtiger Blick auf die Speisekarte vor der Gartenbeiz zeigt uns Bilder von ansprechenden kleinen Häppchen. Vom Hunger und den Parkgebühren getrieben, entscheiden wir uns nur allzu rasch zu bleiben. Der Kellner weist uns einen Promenadenplatz zu. Panoramasicht auf den Platz und das bunte Treiben sind uns sicher. Der zweite Blick auf die Speiseangebote trübt die Freude ob dem Logenplatz merklich. Ein Hamburger mit Blaukäse und Salatbouquet für 17.— Euro sowie ein Apfelsaft für Euro 3,90; das muss erst verdaut werden. Brigittes Vegi-Burger (Euro 12.90) kommt ohne Beilage, darum mit Extrasalat (Euro 5,30) und ein Tonicwasser, ebenfalls für Euro 3,90. Das ist schon ok, sagen wir uns. Wir sind in einer Hauptstadt, wir sitzen auf den besten Plätzen am zentralen Platz und waren in den vergangenen Wochen von den überaus moderaten Preisen in Osteuropa verwöhnt worden. Und schliesslich waren da noch der Hunger und die Parkgebühren. Das ist schon ok, sagen wir uns nochmals. Was dann aber nach reichlicher Wartezeit serviert wird, halbiert bereits vor dem ersten Bissen meinen Appetit. Eine Auszeichnung erhält höchstens der Fotograf für die Speisekarte, sicher nicht der Koch für seine dürftige Kreation. Der Burger unterscheidet sich kaum von jenem bei Mc Donalds, dafür ist das Fleisch trocken wie Sägemehl und nur lauwarm. Das Salatbouquet entpuppt sich als schlaffe Gurkenscheibe und wässriger Tomatenschnitz zwischen einem schwammigen Brot und dem bereits beschriebenen, unbeschreiblich faden Fleischfladen. Zum Glück habe ich einen Apfelsaft für Euro 3,90 bestellt, doch die 2 dl reichen kaum, die staubtrockene Kost zu wässern. Brigittes Vegi-Burger scheint zu schmecken, die Dekoration sieht ansprechend aus, das Ganze reicht aber kaum, einen mittelmässigen Damenhunger zu stillen. Zum Glück hat sie als Beilage einen Salat bestellt. Nur – wo bleibt er denn. Hat ihn der Kellner vergessen. Keineswegs. Sie (Brigitte) hat ihn bereits gegessen – es war die vermeintliche Deko. Total Euro 43,90. Gegessen haben wir, mich geärgert auch – selber schuld!

Das Gegenteil erleben wir – zum Glück – am nächsten Tag. Der Tipp eines guten Freundes und treuen Blogg-Lesers (Danke 4-ty) bringt uns in ein nettes Restaurant an der Rathausgasse. Ein letzter Tisch – sogar am Fenster – ist frei. Der Kellner mit seinem schlaksigen Gang, seinen weichen Bewegungen und seinen Rasta Locken erinnert uns an einen übernächtigten und leicht zu gedröhnten jungen Partygänger. Aber weit gefehlt. In gutem Englisch, mit Charme, viel Fachwissen und exzellenten Manieren erklärt er uns die Gerichte auf der kleinen Speisekarte (ohne Bilder für die dummen Touristen). Vorspeise, Hauptgang und Dessert sind vorzüglich und kosten nur wenig mehr als am Vortag. Zu unserer freudigen Überraschung finden wir sowohl auf dem kleinen Papier zwischen Kaffeetasse und Unterteller als auch auf der Rechnung ein paar persönliche handgeschriebene Worte des Kellners. Eine rundum gelungene Sache – ich bin froh, es geht auch so. Die Welt ist für mich wieder in Ordnung.

Natürlich bietet Tallinn nicht nur kulinarische sondern auch kulturelle und architektonische Gegensätze. Wir erleben Altes und Neues, Historisches und Modernes, das sich in einer unaufgeregten, natürlichen Art und Weise ergänzt, ohne seine Eigenart zu verlieren. Dank der „Talinkarte“ bewegen wir uns 48 Stunden (natürlich mit Pausen) mit div. Verkehrsmitteln in und um die Stadt. Der Blick vom historischen Rathaus- und vom modernen Fernsehturm, der Blumenmarkt, der Hafen mit den Luxusyachten, der Fährschiffhafen und der zu einer Ruine verkommene, verlassene russische Hafen, der wiederholte Spaziergang entlang der alten Stadtmauer, der Besuch des Okkupations- sowie des Freilichtmuseums sind ein paar der Highlights, die wir erleben durften. Die Fähre haben wir für Sonntag, 0730 Uhr gebucht, was uns zu einer Tagwache um 0530 Uhr zwingt. So erleben wir wieder einmal was es heisst, mit Unterstützung eines Weckers aufzuwachen.

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