Finnland

28.8.2016

Die kurze zweistündige Überfahrt mit der Fähre von Tallinn nach Helsinki verläuft planmässig. Auf die Minute, um 0730 Uhr verlässt das riesige Fährschiff „Star“ der Reederei „Tallink“ den Hafen. Beeindruckend, wie reibungslos das Verladen der Fahrzeuge im Bauch des Schiffes klappt. Dieser frühe Kurs wird nur von wenigen Passagieren benützt. Entsprechend ruhig und friedlich ist die Stimmung an Bord. In Helsinki parken wir unseren IVECO kurz nach der Hafenausfahrt an einer Promenade und machen uns zu Fuss auf den Weg ins Zentrum. Bei der Touristeninformation rüsten wir uns mit einem Stadtplan aus. Ebenfalls erfahren wir, wo wir eine Handy-Prepaidkarte kaufen können. Die unsicheren, instabilen WIFI-Netze gehen uns auf den Keks und die teuren Swisscom-Datenpakete ans Portemonnaie. So erstehen wir in einem Kioskshop für 25 Euro eine SIM-Karte mit unlimitiertem Datenguthaben, gültig während eines ganzen Monats. Wie sich später zeigt, ist diese Investition jeden Cent wert. Zurück am Rathausplatz nehmen wir ein Kursschiff auf die Festungsinsel Suomenlinna und geniessen auf dem Rundgang die wärmende Sonne. Die Nacht auf dem Parkplatz an der Promenade wird einzig durch die heftigen Regengüsse gestört.

29.8.2016

Frühmorgens fahren wir ins Zentrum, parken direkt am Hafen und lassen die einzigartige Stimmung auf uns wirken, die der kleine, noch verschlafen wirkende Markt ausstrahlt. Kurz danach starten wir Richtung Norden, denn bis zu unserem Ziel, das Nordkap sind es doch noch ein paar Kilometer.

 30.8.2016 - 3.9.2016

Wer ohne Halt durch Finnland fährt, der hat nach wenigen Kilometern eigentlich alles gesehen. Wälder, Bäume, Seen, Seen, Wälder, Wälder, Wälder und dann wieder Bäume und Seen; und natürlich noch die unzähligen „Achtung Elch“ Schilder - oder sind es „Achtung Ren“ Schilder? Wer aber nicht nur durchfährt sondern hin und wieder einen Stopp einlegt, sich Zeit nimmt (und vorgängig natürlich den Reiseführer konsultiert hat) der bekommt ganz schön viel Natur von seiner schönsten Seite präsentiert. Wir fahren Richtung Nordosten, über Lappeenranta, sehr nahe an der russischen Grenze, nach Savonlinna. Auf Nebenstrassen geht’s weiter nach Juuka, das am Pielinen See liegt. Von dort besteigen wir an einem Tag die drei Berggipfel Ukko-Koli, Akka-Kohli und Paha-Kohli. Was sich jetzt nach einer alpinistischen Meisterleistung anhört, ist in Tat und Wahrheit nur ein Spaziergang. Die drei „Hügel“ sind zwischen 334 m und 347 m hoch und liegen nur wenige hundert Meter auseinander. Einmalig und unvergleichlich ist aber - trotz der geringen Höhe - die Aussicht über das ansonsten eher flach geratene Finnland. Soweit das Auge reicht: Seen, tiefblau bis schwarz, gespickt mit unzähligen kleinen Inseln, die vom glatten Wasser gespiegelt werden, alles eingebettet in Wald, der je nach Lichteinfall seine Farbe zwischen leichtem Hellgrün zu sattem Dunkelgrün wechselt.

Auf der Weiterfahrt halten wir Ausschau nach Elchen, Rentieren und einem Nachtlager. Alles ohne Erfolg. Erst beim dritten Versuch finden wir im dichten Wald einen Platz bei einer Bootsrampe, der unseren Übernachtungskriterien entspricht. Möglichst ruhig, weg von der Hauptstasse, geschützt vor neugierigen Passanten und erst noch möglichst eben. Das Fahrzeug steht, der Motor ist abgestellt und wir sitzen noch im Fahrerhaus als unmittelbar vor uns zwei Ren durchs Gebüsch streifen. Paralysiert vom Anblick vergessen wir die Kamera zu zücken. Nur allzu rasch sind die beiden Ren aus unserem Blickfeld entschwunden. Klar starren wir den ganzen Abend, auch während des Nachtessens, in den Wald. Und dann, nochmals schnellt unser Puls in die Höhe, als wir schemenhaft zwei weitere Tiere in der Abenddämmerung erblicken. Es war ein anstrengender Tag, viele Kilometer haben wir hinter uns gelegt. Müde, aber zufrieden vom Erlebten legen wir uns zur Ruhe. Der obligate Nachtregen trommelt auf das Wagendach und uns in den Schlaf.

Inzwischen gehört die Begegnung mit dem Ren, auf oder neben der Strasse, zum Alltag. Und trotzdem sind wir jedes Mal wieder fasziniert von deren Anblick. Manchmal nur zu zweit, dann wieder in Gruppen bis zu zwölf stehen sie am Strassenrand oder blockieren gar die Strasse. Dann wieder erblicken wir sie in einem Vorgarten oder einige Meter neben der Strasse im Wald. Scheu und unberechenbar sind sie allemal. In Rovaniemi überqueren wir den Polarkreis, jene imaginäre Linie auf 66° 33′ 35″ nördlicher Breite (gemäss Bodenmarkierung in Rovaniemi – gemäss Wikipedia 66° 33′ 55″), wo die Sonne an den Tagen der Sonnenwende gerade nicht mehr auf- bzw. untergeht (Wikipedia). Beim Polarkreiszentrum in Rovaniemi machen wir Halt und lassen uns vom Rummel um den Weihnachtsmann, der hier das ganze Jahr geschäftstüchtig betrieben wird, etwas verzaubern. Neben dem erwähnten Zentrum finden wir hier eine Santa Claus Village, einen Santa-Park, eine Vielzahl von Souvenirshops und ein Weihnachtsmannpostamt, das natürlich 365 Tage im Jahr geöffnet hat. Weitaus interessanter und informativer ist der Besuch des „Arktikum“, einem Museum im Zentrum von Rovaniemi, das uns in eindrücklicher Weise das Leben der Inuit und der Sami sowie der Tierwelt in der Arktis näherbringt.

Über Kittilä erreichen wir auf einem längeren, unbefestigten Stück Strasse Kaamanen, ein kleines Dorf mit Tankstelle, Postoffice und Restaurant, alles an der ein und selben Kreuzung. Sowohl im Postoffice als auch im Restaurant ist ein kleiner Shop integriert, ausgerichtet auf das einsame Leben, fernab von jeder Zivilisation. Knäckebrot, allerlei Konserven, ganz wenig frisches Gemüse, Waschmittel aber auch Gummistiefel füllen die Regale. Weiter zu haben ist eine kleine Auswahl an Dichtungen, Schrauben, Werkzeug, Angelruten mit Zubehör, Sägen, Schaufeln. Der Stuhl mit ca. einem Dutzend Rentierfelle ist vermutlich eher für die zufällig vorbeifahrenden Touristen gedacht. Ein richtiger Trapper-Shop. Da dürfen auch die zwei oder drei Glückspielautomaten nicht fehlen sowie die Glückslose unter der Vitrine bei der Kasse. Es ist noch frühmorgens, doch es herrscht reger Betrieb. Wir verweilen für kurze Zeit, trinken einen Kaffee, essen ein vorzügliches Süssgebäck und geniessen die Stimmung. Das Lokal, der Shop, die Tankstelle, die anwesenden Leute; all das hätte eine stimmige Kulisse für einen Film aus den Zeiten der Goldgräber abgegeben.

Über die 971er fahren wir weiter nach Nordosten. Auf den letzten knappen 200 Kilometern sind wir kaum mehr als einem Dutzend Fahrzeuge begegnet. Der anfänglich dichte Wald lichtet sich mehr und mehr bis wir schliesslich durch eine Art Tundra fahren. Wir halten ein letztes Mal auf finnischem Boden. Der kleine Grenzort Näätämö bietet mit einer Tankstelle und zwei Supermarkets sowie einem Shop für Angler und Jäger recht viel. Wir füllen die beiden Tanks unseres IVECO nochmals mit relativ günstigem finnischem Diesel und ergänzen die Essensvorräte. Angesteckt vom rauen „Trapperklima“, das hier in der Einsamkeit herrscht, lasse ich mich - in der Hoffnung, beim Ausbleiben von Supermärkten, durch den erfolgreichen Fischfang dem Hungertod entgehen zu können - zum Kauf einer Anglerrute hinreissen.

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