von Danzig zu den Masuren
Gerne würden wir euch mehr Bilder zu unserer Reise zeigen, aber die mangelhaften Wifi's in Polen lassen das im Moment nicht zu.
Von Warschau immer nordwärts Richtung Danzig, haben wir erstmals unseren IVECO gefordert. Müde von der Hauptstrasse mit unzähligen Lastwagen und Lichtsignalen, die für uns meistens kurz vor erreichen der Kreuzung auf Rot wechselten, bogen wir ab und folgten kleinen Landstrassen. Kilometerlange, schmale Alleen, gespickt mit Schlaglöchern, verträumte kleine Ortschaften und immer wieder Storchenpaare auf den Feldern waren der Lohn. Als dann wie aus dem Nichts eine Baustelle uns den Weg versperrte und nicht nur wir, sodern auch die lokalen Autofahrer ratlos auf ihr Navi blickten, entschieden wir uns kurzerhand für eine Route entlang eines Kanals und über Feld- Wiesen- und Waldwege. Da spürten wir unter uns das massive Chasis unserers Fahzeugs und die geballte Kraft des Motors.
Nach einer Nacht in der Wildnis mit sintflutartigen Regenfällen erreichten wir "pfützenfahrend" Danzig. Eine sehenswerte, ehemalige Hansestadt mit viel Charme. Hier ist die Revolution der Hafenarbeiter in den 80er Jahren unter dem Kaplan Hendryk Jankowski und Lech Wałęsa spürbar und geht mir unter die Haut.
7.8.16
Nach einer weiteren Nacht mit starkem Regen, erfreut uns der Morgen in Danzig mit warmen Sonnenstrahlen. Der stündige Spaziergang am Strand (morgens um sechs! ist die Welt noch in Ordnung) ist ein Genuss. Ausser ein paar Bierleichen vom Vorabend stört niemand die Idylle. Dann Frühstück (Himbeeren vom Markt), packen und Grauwasser entsorgen. Es braucht etwas Geduld, denn wir sind die Nummer drei in der Warteschlange vor der Dumpingstation. Das gibt wiederum die Gelegenheit für ein kurzes Gespräch mit dem ebenfalls wartenden Italiener und dem etwas unbeholfenen Franzosen an der Wasserzapfsäule. Ein Norweger (er kommt aus Tromsö) gibt uns Tipps für den hohen Norden und so geht die Wartezeit im Nu vorbei.
Schliesslich fahren wir mit unserem IVECO ins Zentrum von Danzig. Nach etlichen Umwegen finden wir einen idealen Parkplatz beim Platz Solidarnosci, direkt vor dem eindrücklichen Denkmal zugunsten der Opfer der verschiedenen Streiks und Aufstände durch die Werftarbeiter in den Jahren 1956, 1970 und 1980. Unseren Besuch in Danzig runden wir mit einer Kanalfahrt nach Westerland ab.
Kurz ausserhalb von Danzig übernachten wir direkt an einem Kanal, aber mitten im Grünen.
8.8.16
In aller Frühe überqueren wir mit einer kleinen motorlosen Fähre, die an einem durch den Kanal gelegten Seil hängt und von einem Fischkutter gestossen wird, die schmale Wasserstrasse. Weiter über Land geht es in Richtung Wolfsschanze, die wir am späten Nachmittag erreichen. Gespenstisch präsentieren sich im dichten Wald die alten, teils zerstörten Bunkeranalgen aus dem Zweiten Weltkrieg. Ein historischer Ort, der sich selbst überlassen wird. Niemand scheint traurig zu sein, wenn eines Tages die Natur sich diesen Flecken Erde endgültig zurückgeholt hat.
10.8.16
Wir sitzen endgültig fest! In Mikolajki in den Masuren. Das Wetter ist miserabel. Es regnet und um 1045 Uhr sind es draussen gerade mal 15 Grad. Aber nicht nur das. Auch das WLAN auf dem Campingplatz ist miserabel. Das Swisscom-Datenpaket ist längst aufgebraucht - "Ärger"! Trotzdem entschliessen wir uns am Nachmittag für einen kurzen Spaziergang - es wurden daraus über 10 km, alles im Regen, doch, am gefühlten Ende der Welt, inmitten herrlicher, unberührter Wiesen, direkt am Seeufer ein kleiner Gasthof, wo wir für unsere Ausdauer mit einem wärmenden Tee belohnt wurden. Zurück in Mikolajki gönnten wir uns im Restaurant ein Nachtessen und eine Flasche chilenischen Rotwein.
11.8.16
Der gemäss Wetter-App versprochene Tag mit Sonnenschein wird uns heute tatsächlich geboten. Zwar klettert das Thermometer den ganzen Tag nie über 16 Grad, aber für eine Velotour sind das perfekte Bedingungen. Weil Fabio Cancellara in der Nacht zuvor in Rio bereits Gold für die Schweiz gewonnen hatte, halten wir uns zurück und drücken etwas gemächlicher in die Pedalen. Auf holprigen Waldwegen fahren wir entlang des Beldahn-Sees, lassen uns mit einer kleinen Fähre auf eine Landzunge übersetzen und besuchen schliesslich einen Park mit dem Freilichtmuseum „Galindia“, „...alles mit Zeichen der wilden Vergangenheit der Galinder, jenes pruzzischen Stammes, der in Masuren einst beheimatet war. Überall im Galinischen Garten stösst man auf urige Holzskulpturen, grimmige Gesichter, die in Baumstämmen geschnitzt sind und seit Jahrhunderten auf die wildromantische Landschaft zu schauen scheinen.“ (Quelle: Marco Polo Reiseführer Masuren).
12.8.16
Mit der Abreise in Mikolajki lassen wir uns Zeit, geniessen draussen vor dem Fahrzeug den Kaffee und die Sonnenstrahlen. Unser nächstes Ziel ist der im Reiseführer hoch gepriesene Bauernmarkt in Krutyn. Dort sind wir dann einigermassen enttäuscht ob den sieben touristisch ausgerichteten Ständen, kaufen trotzdem ein paar Gläser Honig und ein Armband. In einem Restaurant, direkt am Fluss (Flüsschen) Krutynia, lassen wir uns auf der Veranda gebratenen Hecht und Waldpilze nach Masurischer Art schmecken. Spontan entschliessen wir uns zu einer Kanufahrt. Direkt neben dem Restaurant steht ein Anbieter. Alles ist auf deutsche Touristen ausgerichtet. Die drei Jungs unter dem Baum und hinter einem wurmstichigen Holztisch sprechen deutsch. Sie nehmen es locker. Wir fragen nach. Alles ist ganz unkompliziert. 40 Sloty (ca. Fr. 10.--) für zwei Stunden. Hier ist ein Plan. Sie fahren bis nach „Rosada“. Das ist ca. nach der zweiten Brücke. Dann gehen Sie an Land und rufen uns an. Wir holen Sie dort mit dem Auto ab und fahren Sie zurück. Kein Name, kein Ausweis kein Depot. Wollen Sie Schwimmwesten? Dort ist ihre Kanu, hier die Paddel, setzen Sie sich ins Boot, wir schieben sie rein. Bevor wir richtig durchatmen können, fahren wir mit unserem grauen Kanu auf dem beschaulichen Flüsschen. Das Wasser ist kaum ein Meter tief und glasklar. Durch eine urwaldähnliche Landschaft schippern wir leise dahin. Hin und wieder stehen wir in einem kleinen touristischen Kanustau. Wo sind wir? Die handgezeichnete Karte des Anbieters gibt wenig her. An einem kleinen Wehr gehen alle Kanuten an Land. War’s das schon? Nein, aber das Kanu muss hier aus dem Wasser gezogen und ca. 100 Meter über Land geschleppt werden. Davon haben die Jungs hinter der morschen Bank nichts gesagt. Danach geht die Fahrt weiter durch die unberührte Natur. Erholung pur. Langsam melden sich die Oberarme mit einem dezenten Brennen. Vorgestern Fussmarsch im Regen, gestern Velotour über Stock und Stein und heute Paddeln durch den „Amazonas“. Ein Touristen-Triathlon. Olympia lässt grüssen. Nach drei Tagen auf dem betriebsamen Campingplatz in Mikolajki stehen wir nun weit ab von jeder Zivilisation am Niedersee im dichten Wald. Wir geniessen den Abend, planen die Weiterfahrt und pflegen den Blog.
13.8.16
Das wird unser letzter Tag in Polen. Wir fahren bis nach Suwalki, dem letzten grösseren Ort im Nordosten, unweit der litauischen und weissrussischen Grenze. Wir planen, uns mit Lebensmitteln einzudecken, denn ab morgen werden wir mit Litauen ein womöglich wildes, unterentwickeltes und rückständiges Land betreten. Nun, es sei schon an dieser Stelle gesagt, wir haben uns mächtig getäuscht. Trotzdem war der Einkauf im „Tesco“ von Suwalki ein Erlebnis. Auf dem Parkplatz des megagrossen Einkaufcenters waren mehr als die Hälfte der Fahrzeuge aus Litauen. Wir fühlten uns wie an einem Samstag in Konstanz. Einkaufstouristen mit vollen Wagen, als gäbe es kein Morgen. Wir versuchten die Einkaufswut im Griff zu halten, deckten uns mit Socken sowie T-Shirts ein und angesichts des nun doch schon seit einigen Tagen andauernden kalten Wetters auch mit einem zusätzlichen Pullover. Dazu natürlich Teigwaren, Thunfisch, Pesto, Brot, Milch, Rahm, Kaffee, Haushaltspapier und für das Gemüt etwas Prosciutto crudo und eine Flasche Rotwein. Die letzte „polnische Nacht“ verbrachten wir ausserhalb von Suwalki an einem kleinen See, auf einem „minus 2 Sterne“ Campingplatz. Schade für die 70 Slotys. Überfüllte Abfallcontainer, kein warmes Wasser, elektrische Installationen aus den Zeiten von Alessandro Volta und André-Marie Ampère, und Toiletten, zu denen ich euch die Details erspare. Zu allem Überfluss kamen am Abend ein paar Festbrüder und zechten bis spät in die Nacht. So wurde es uns wenigstens die Weiterreise am anderen Morgen leicht gemacht.