Das Baltikum: Litauen ...
Frühmorgens fahren wir auf komfortablen, EU-finanzierten Strassen zu einem namenlosen, kleinen Grenzübergang zwischen Polen und Litauen. Einzig die verlassenen Zollhäuser erinnern noch daran, dass hier einmal Personen und Waren kontrolliert wurden. Alles sehr unaufgeregt. Zwei, drei parkierte Autos aber keine Geschäfte oder Leute zu sehen. Eine kleine Tankstelle mit Kiosk und auf litauischer Seite eine Touristeninformation. Es ist Sonntag, 0815 Uhr - alles sehr verschlafen. Überraschenderweise ist die Touristeninformation geöffnet. Freundlich und in pefektem Englisch erhalten wir die gewünschten Auskünfte. Via Trakai, wo wir kurz das zwar schöne, aber allzu touristisch ausgeschlachtete Wasserschloss besichtigen, fahren wir zur Hauptstadt Vilnius.
15.8.16
Vilnius, Stadtbesichtigung auf eigne Faust. Im ÖV-Bus mit Händen und Füssen sowie unserem Stadtplan nach dem Weg ins Zentrum gefragt. Die Busfahrerin absolut freundlich und hilfsbereit, verkauft uns auch die beiden notwendigen Tickets. Plötzlich fragt sie uns, ob wir die Tickets auch wirklich am Automaten im Bus entwertet hätten – dann an der nächsten Haltestelle steigen prompt zwei Kontrolleure ein. Vom Bahnhof – übrigens auf Litauisch „Stotis“ – schlendern wir auf der Touristenroute an den bunten, hübsch verzierten Häuser vorbei oder werfen hin und wieder einen Blick in eine der unzähligen Kirchen. Im achteckigen Gediminas-Turm erfahren wir interessante Details zum (mehr oder weniger) friedlichen Gang der baltischen Staaten in die Unabhängigkeit. Eindrücklich die Menschenkette, die 1989 von Vilnius nach Tallinn mit 2,5 Millionen Menschen gebildet wurde, um Freiheit und Unabhängigkeit von den Russen zu demonstrieren. Ich frage mich, wo ich damals, vor 17 Jahren war und was ich damals machte – denn an dieses imposante weltgeschichtliche Ereignis vermach ich mich nicht zu erinnern. Im Gegensatz zu Polen spürt man hier bei den Menschen in Litauen (ein Kleinstaat eben) förmlich die Freiheitsliebe und ihren Drang zur Unabhängigkeit. Obwohl auch sie im letzten Jahrhundert Schreckliches erleben mussten, haben wir nicht das Gefühl, dass sie ihr ergangenes Leid zur Schau stellen und in einer Opferrolle verharren. Sympathisch auch, dass hier in Litauen die vielen Bierbäuche aus dem Strassenbild verschwunden sind.
Eine Nacht mit massiven Regenfällen und Temperaturen um die 10 Grad. Sommer wo bist du! Die Aussichten in Vilnius für die nächsten Tage: Regen, Regen, Regen. Wir konsultieren die Wetter-App für Riga und Tallinn: Regen, Regen, Regen.
16.8.16
Wir fahren weiter (im Regen) Richtung Westen. Gegen Abend finden wir in Jurbarkas einen an und für sich perfekten Ort für eine Übernachtung. Ein Parkplatz, direkt am Fluss Nemunas, in einer Sackgasse, etwas abgelegen aber nicht versteckt, sauber. Schon während des Nachtessens (etwas Rindshuft, Reis und Salat) wundern wir uns ob des regen Autoverkehrs zum Parkplatz und wieder weg. Lokale Jugendliche, meist zu zweit im Fahrzeug, parkieren, manchmal nur für wenige Sekunden, um dann wieder mehr oder weniger rasant wegzufahren. Andere bleiben längere Zeit stehen, diskutieren im Fahrzeug, schauen ins Handy oder steigen kurz aus. Ohne Mühe stellen wir fest, dass die gleichen Fahrzeuge mit denselben Personen immer wieder auftauchen. Interessiert schauen wir dem rätselhaften Treiben zu (wahrscheinlich sind wir schon zu alt, um dies zu verstehen – oder aber - andere Länder, andere Sitten). Mit zunehmender Dunkelheit nimmt auch die Zahl der Fahrzeuge zu, die an Ort und Stelle verweilen. Bald sind es gut ein Duzend. Das Geschehen nimmt nun konkrete Züge an. Es wird diskutiert, geraucht (was auch immer) getrunken und geschluckt (ebenfalls; was auch immer). Aus einem der Fahrzeuge donnert der Bass. Musik bzw. eine Melodie ist nicht zu erkennen. Bumm, bumm, bamm, bamm, bumm. Während 20 Minuten, ohne Pause, ohne Rhythmuswechsel. Dann das nächste Stück. Vermutlich vom selben Interpreten. Nach einem kurzen Nachtruheversuch entscheiden wir uns frustriert, einen anderen Parkplatz zu suchen. Offensichtlich haben wir den allabendlichen Treffpunkt der litauischen Jugend aus Jurbarkas ausfindig gemacht.
17.8.16
Etwa 15 km nordöstlich von Siauliai besuchen wir den Berg der Kreuze. Ein wichtiger Wallfahrtsort der gläubigen Litauer. Auf einem kleinen Hügel, aber auch rundherum stehen zehntausende von Kreuzen. Seit dem 19. Jahrhundert haben hier Pilger zum Zeichen des Danks oder als Bitte Kreuze in jeglicher Grösse hingestellt. Zur Zeit der Besatzung versuchten die Sowjets diese Gedenkstätte zu vernichten was jedoch nicht gelang, denn die Gläubigen stellten unverzüglich immer wieder und noch mehr Kreuze auf und symbolisierten so den politischen Widerstand. Eindrücklich und ergreifend!!!
18.8.16
Nach einer Nacht, weit abseits jeder Strasse (Geländegang und Diff-Sperre) absolut im Grünen, ohne jede Störung aber mit Dauerregen entscheiden wir uns, nordwärts und zur Westküste zu fahren. Unverhofft schnell überqueren wir die Grenze zu Lettland.