11.9. - 13.9.2022
In Goose Bay scheint die Sonne. Es ist warm. Aussergewöhnlich warm für diese Jahreszeit, 26 Grad. Um 1100 Uhr stehen wir am Fährenterminal für die Fahrt nach Nain. Der Terminal ist klein. Ein Raum, zwei Schalter, ein Dutzend Stühle für die Passagiere. Mehr braucht es auch nicht, denn nur zweimal die Woche ist hier Betrieb. Am Sonntag, wenn die Fähre um 1400 Uhr in Richtung Nain ablegt. Dann, am Freitagvormittag, wenn sie zurückkommt. Zeit unbestimmt. Am Schalter erhalten wir unsere Tickets. Informationen gibt’s keine. Ein Shuttle werde uns zur Fähre bringen. Wir sollen hier warten. Die Fähre steht in Sichtweite zum Terminal. Keine hundert Meter. Trotzdem. Hier sollen wir warten. Mit dem Gepäck. Die Gruppe der Passagiere ist überschaubar. Etwa zwanzig First Nations, die in Nain oder an einem der vier Zwischenstopps wohnen. Kleine Ortschaften, erreichbar nur per Schiff. Ebenfalls an Bord zwei Techniker einer Firma, die Pipelines kontrolliert. Und dann, uns eingerechnet, acht Touristen. Obwohl die Ortschaften nur über ein kleines lokales Strassennetzt verfügen, ist die Ladefläche für die Fahrzeuge voll. Ein Bagger, mehrere Lastwagen mit Containern, und Baumaterial. Auch der PW der Techniker, mit Anhänger und Motorboot ist dabei. Auf jedem Container liegt noch irgendwelches Baumaterial - Bodenleisten, ein neues Fenster, ein Sack voll Sand. Keineswegs chaotisch. Alles läuft ruhig, gesittet und ohne Hektik ab. Alles sehr familiär. Man kennt sich. Auch wir Touristen untereinander kommen schnell ins Gespräch. Ein Amerikaner, ein Paar aus Montreal. Man tauscht sich aus. Ein anderes Paar ist eher verschlossen, spricht kaum - und dann ist noch der jüngere Tramper, ein Einzelgänger, der sich irgendwie nicht richtig einordnen lässt.
Der Shuttle bringt uns zur Fähre. Wie erwähnt, keine hundert Meter, keine Minute. Ordnung muss sein. Alle sind offensichtlich pünktlich. Die Ladefläche ist voll, die Rampe verschlossen. Und so legen wir zu unserer Überraschung eine Stunde vor der angekündigten Abfahrt los. Uns soll’s recht sein. Erstes Ziel - Rigolet. Sieben Stunden Fahrt. Das offene Meer ist weit entfernt. Bis Rigolet fahren wir eigentlich auf der Mündung des Churchill-Rivers. Der breitet sich nach Goose Bay aus. Teilweise kilometerbreit, dann wieder wenige hundert Meter schmal. Rigolet liegt an einer solch schmalen Passage. Gegen 2100 Uhr - inzwischen ist es dunkel geworden - erreichen wir den kleinen Ort. Die wenigen Lichter in den Häusern verraten uns, dass das Dorf an einen Hang gebaut ist. Ebenfalls sind einige wenige Positionslichtern für die Schifffahrt zu erkennen. Ansonsten nur schwarze Nacht.
Von den First Nations Passagieren haben wir bereits gehört, dass die Anfahrt auf Rigolet für die Fähre schwierig sei. Die Strömung, verursacht durch die Tide, wird durch die Enge der Passage bei Rigolet verstärkt. Zudem ist Vollmond. Und die Position des Anlegestegs ist heikel. Schnell ist auf der Uferseite seichtes Wasser erreicht. Natürlich stehen wir an Deck um das Anlegemanöver zu beobachten. In der Zwischenzeit ist es empfindlich kalt geworden. Aber wenig Wind, fast keine Wellen. Das Anlegemanöver sollte eigentlich ein Klacks sein. Aufgrund der Dunkelheit geben uns nur die beiden roten und grünen Lichter bei der Hafeneinfahrt einen Anhaltspunkt über unsere Position. Und die lässt nichts Gutes erahnen. Viel zu weit links, viel zu nahe an der Hafenmauer. Die Fähre wird mit der Strömung seitlich abgetrieben. Das Aufheulen der Schiffsmotoren, das Zischen der Bugstrahler, der volle Schub zurück signalisieren uns, dass es knapp war. Vergleichbar mit dem Durchstarten eines Flugzeugs beim Landeanflug, zieht die Fähre eine Schlaufe. Weg vom Ufer und weiter in Richtung Meer. Dreissig Minuten, über zehn Kilometer. Dann wenden wir. Zweiter Versuch nach einer Stunde. Mit demselben Ergebnis. Wieder werden wir abgetrieben. Wieder eine Schlaufe, wieder zurück und wieder eine Stunde später der dritte Versuch. Inzwischen soll die Strömung abgeklungen sein. Wir hoffen es. Informationen seitens der Schiffsbesatzung ist keine zu haben. Keine Durchsage, nichts. Offensichtlich Business as usual. Das dritte Anlegemanöver gelingt dann, dauert aber eine gefühlte Ewigkeit. Gegen Mitternacht ist die Fähre fest vertäut und wir sind definitiv in Rigolet.