Geisterstadt und Landgespräch

Über Stock und Stein fahren wir von „Tre Fontane“ Richtung Berge und ins Landesinnere Siziliens – mit dem Ziel „Corleone“. Mehr zufällig als gewollt, treffen wir auf das vom Erdbeben von 1968 zerstörte Dorf „Gibellina“ im Belice-Tal. Das komplette Dorf, bzw. was nach dem Erdbeben übrig geblieben ist, steht da - leer, nackt, zeitlos, ohne Leben, eingezäunt mit Maschendraht, als Denkmal, als Mahnmal oder weiss Gott warum. Verlassen aber auch vergessen. Verlassen von den Einwohnern, die 20 Km weiter ein „Neu-Gibellina“ aufgebaut haben. Vergessen vom Staat, der andere Sorgen und kein Geld hat, um dem Ort einen Sinn zu geben.

Am Abend erreichen wir – nur dank unseres geländegängigen Fahrzeugs - den Lago Garcia. Der Feldweg, gespickt mit grossen Schlaglöchern und Verwerfungen, lassen nur Schritttempo zu. Gemäss Navi befinden wir uns mitten in einem grünen Feld, weitab von jeder Strasse oder jedem Weg. Dann, den See schon vor Augen, versperrt uns ein Zaun und eine grössere Schafherde die letzten Meter zum Wasser. Kaum aber haben wir das Fahrzeug verlassen, um eine Lösung für das Problem zu finden, kommt schon ein älterer Sizilianer auf seinem roten und ebenso alten Traktor herangetuckert. Ein herzhaftes „Bongionro“ meinerseits und er streckt mir sogleich zum Gruss die Hand entgegen. Kein Problem, sagt er, ihr könnt hier am See übernachten, er werde gleich den Zaun öffnen und die Schafe beiseite nehmen. Wenn wir etwas bräuchten, er sei da hinten. Später schaut er nochmals vorbei und wir kommen ins Gespräch. Über 50 Jahre sei er Schafhirte. Die Herde zähle 250 Tiere. Zeit seines Lebens habe er die Region nie verlassen. Die Zeiten hätten sich in den letzten Jahren stark geändert. Es kämen viele Touristen, nur um Corleone und die beiden Gräber von Bernardo Provenzano und Toto Riina  zu besuchen. Früher sei es besser gewesen (er meinte zu Zeiten der Mafia – ohne aber das Wort „Mafia“ jemals auszusprechen), da hätten die Leute mehr Arbeit gehabt und auch mehr Wohlstand. Der Staat schaue zu wenig für Sizilien. Er müsse jetzt gehen, denn er wohne über 30 Km von hier. Mit der Hand zeigt er in Richtung Berge. Er fahre die Strecke täglich, hin und zurück. Zufrieden, wie mir scheint, verabschiedet er sich mit Handschlag und ruckelt mit seinem roten Traktor von dannen.

Danach kehrt Ruhe ein, am Ufer des „Lago Garcia“. Es ist eine seltsame Ruhe. Mehr eigentlich eine beklemmende Stille  - hier mitten in den Bergen, mitten im Herzen der "guten alten Zeiten". 

 

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